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[[Datei:HSHL Luftbild 2015.jpg|mini|rechts|Hochschule Hamm–Lippstadt]] | [[Datei:HSHL Luftbild 2015.jpg|mini|rechts|Hochschule Hamm–Lippstadt]] | ||
Der Amoklauf an der [[Hochschule Hamm–Lippstadt]] (HSHL) ereignete sich am [[10. Juni]] [[2022]]. | Der Amoklauf an der [[Hochschule Hamm–Lippstadt]] (HSHL) ereignete sich am [[10. Juni]] [[2022]] und forderte ein Todesopfer. | ||
Der | Der unter Verfolgungswahn leidende Täter, Markus R. (34), stach mit zwei Küchenmessern in den Fluren und später in einem Hörsaal auf insgesamt vier Zufallsopfer ein. Eine 30-Jährige Dozentin der HSHL verstarb kurz darauf im Krankenhaus an den Folgen des Angriffs. R. wurde noch am Tatort verhaftet und [[2023]] nach einem Sicherungsverfahren vor dem Dortmunder Schwurgericht auf unbestimmte Zeit in einer forensischen Psychiatrie untergebracht. | ||
== Tathergang == | == Tathergang == | ||
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Der Amoklauf begann kurz vor 15:30 Uhr in den Gebäuden der HSHL an der [[Marker Allee]]. Erste Notrufe gingen gegen 15:29 Uhr bei der [[Polizei]] ein. Parallel wurde die [[Feuerwehr]] durch Betätigung eines Brandmeldeknopfs zur HSHL gerufen. Bereits drei Minuten später waren erste Polizeibeamte vor Ort. | Der Amoklauf begann kurz vor 15:30 Uhr in den Gebäuden der HSHL an der [[Marker Allee]]. Erste Notrufe gingen gegen 15:29 Uhr bei der [[Polizei]] ein. Parallel wurde die [[Feuerwehr]] durch Betätigung eines Brandmeldeknopfs zur HSHL gerufen. Bereits drei Minuten später waren erste Polizeibeamte vor Ort. | ||
Markus R. attackierte zunächst eine im Foyer sitzende Frau (22), indem er ihr Hiebe in den Hals und in die Wange versetzte. Dabei befand sich die Schutzhülle noch über dem Messer. Diese nahm | Markus R. attackierte zunächst eine im Foyer sitzende Frau (22), indem er ihr Hiebe in den Hals und in die Wange versetzte. Dabei befand sich die Schutzhülle noch über dem Messer. Diese nahm er danach ab und verletzte die Frau abermals an der Wange. Im Anschluss griff der Täter einen ebenfalls im Foyer befindlichen Mann (22) an. Dieser konnte der Attacke weitgehend ausweichen, erlitt allerdings eine Schnittwunde am Hals. Anschließend ging R. in Richtung einer Sitzgruppe und stach dort einer weiteren Frau (22) insgesamt achtmal in den Bauch. Schließlich betrat der Amokläufer den Hörsaal „Hamm 2“, in dem gerade eine Veranstaltung im Gange war, und stach einer in der vierten Reihe sitzende Frau (30), die als Lehrbeauftragte der HSHL anwesend war, mehrmals in die Brust.<ref name="WA_de_06-10"> Dabei sagte er: „Jetzt ist Schluss! Jetzt bist Du dran!“<ref name="WA_de_06-14"/> Damit spielte R. auf die vermeintliche systematische Verfolgung seiner Person an, die er beenden wollte. Ein Stich traf die Lungenschlagader.<ref name="WAde-23-01-06"/> | ||
Noch im Hörsaal gelang es dann anwesenden Studenten, den Angreifer bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten.<ref name="WA_de_06-10" /> Die Festnahme von Markus R. erfolgte um 15:35 Uhr.<ref name="PK-06-11" /> | Noch im Hörsaal gelang es dann anwesenden Studenten, den Angreifer bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten.<ref name="WA_de_06-10" /> Die Festnahme von Markus R. erfolgte um 15:35 Uhr.<ref name="PK-06-11" /> Die Dozentin wurde durch den Angriff lebensgefährlich verletzt und mit einem Rettungshubschrauber in das Universitätsklinikum Münster geflogen.<ref name="WA_de_06-10">[https://www.wa.de/nordrhein-westfalen/hamm-messerattacke-angriff-hshl-amok-taeter-opfer-lebensgefahr-hochschule-lippstadt-verletzte-polizei-91603525.html Wa.de (Ticker) vom 10. Juni 2022]</ref> | ||
Nach der Tat mussten etwaige Augenzeugen bis in den Abend für Befragungen auf dem Campus verbleiben.<ref name="WA_de_06-13" /> Beamte durchsuchten sämtliche Räume des gesamten Gebäudes nach möglichen Komplizen und Spuren. Die Spurensicherung Dortmund | Nach der Tat mussten etwaige Augenzeugen bis in den Abend für Befragungen auf dem Campus verbleiben.<ref name="WA_de_06-13" /> Beamte durchsuchten sämtliche Räume des gesamten Gebäudes nach möglichen Komplizen und Spuren. Die Spurensicherung Dortmund war unterstützend tätig.<ref name="PK-06-11" /> Parallel fand eine Betreuung der Opfer durch Notfallseelsorger statt. | ||
Markus R. wurde nach seiner Festnahme in ein psychiatrisches Krankenhaus außerhalb von Hamm gebracht. | Markus R. wurde nach seiner Festnahme in ein psychiatrisches Krankenhaus außerhalb von Hamm gebracht. | ||
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== Beschuldigter == | == Beschuldigter == | ||
Markus R., der Beschuldigte, | Markus R., der Beschuldigte, war zum Tatzeitpunkt 34 Jahre alt und in Hamm Student der Wirtschaftspsychologie. Er stammte ursprünglich aus Telgte<ref name="WA_de_06-13">[https://www.wa.de/nordrhein-westfalen/amoktat-an-hshl-hamm-waffen-von-taeter-erst-kurz-vor-bluttat-gekauft-so-geht-es-opfern-91608032.html Wa.de vom 13. Juni 2022]</ref> und lebte zum Zeitpunkt der Tat in einem Studentenwohnheim gegenüber der Hochschule. Er litt nach Auffassung der Anklagevertretung und der durch das Gericht bestellten Gutachter<ref name="WAde-23-01-06"> unter einer paranoiden Schizophrenie, die umgangssprachlich auch „Verfolgungswahn“ genannt wird. So glaubte er, ein „Clan“ verfolge ihn systematisch, höre ihn ab, filme ihn und wolle ihn töten. Auch seine Opfer sowie weitere Personen im Umfeld des HSHL gehörten seiner Auffassung nach zu diesem „Clan“.<ref name="WAde-2022-07-18">[https://www.wa.de/nordrhein-westfalen/messerangriff-an-hochschule-hshl-in-hamm-schizophrener-taeter-wollte-toeten-91673386.html Wa.de vom 18. Juli 2022]</ref> R. unterstrich diese Auffassung auch bei Gericht und sprach davon, dass er weiterhin verfolgt sei. Gleichzeitig entschuldigte er sich für seine Taten. | ||
<!-- R. soll vor der Tat versucht haben, sich an einer Mauer am Kopf selbst zu verletzen. Er wurde in die psychiatrische Abteilung des [[Marienhospital]]s eingewiesen und nach mehrfacher Untersuchung durch Therapeuten und Ärzte am Tattag regulär entlassen.<ref>[https://www.wa.de/hamm/amoklauf-an-der-hshl-hochschule-hamm-vermeidbar-quaelende-fragen-und-suche-antworten-polizei-marienhospital-psychiatrie-91615109.html Wa.de vom 17. Juni 2022]</ref> | |||
AUSKOMMENTIERT – Widerspricht der Darstellung nach Wa.de vom 06.01.2023, wonach er in der Psychiatrie war, weil er durch Tabletteneinnahme Suizid begehen wollte.--> | |||
Der Polizei Hamm war er bekannt, da er im April 2022 Anzeige gegen seine Verfolger stellen wollte, wobei sich herausstellte, dass diese Anschuldigungen keine faktische Basis hatten.<ref name="PK-06-11">Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Dortmund am 11. Juni um 15:00</ref> Er habe selbst erkannt, dass seine Schilderungen „nur schwer nachvollziehbar sind“, und angegeben, in psychotherapeutischer Behandlung wegen Angst- und Zwangsstörungen zu sein.<ref name="WAde-2022-07-18"/> | Der Polizei Hamm war er bekannt, da er im April 2022 Anzeige gegen seine Verfolger stellen wollte, wobei sich herausstellte, dass diese Anschuldigungen keine faktische Basis hatten.<ref name="PK-06-11">Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Dortmund am 11. Juni um 15:00</ref> Er habe selbst erkannt, dass seine Schilderungen „nur schwer nachvollziehbar sind“, und angegeben, in psychotherapeutischer Behandlung wegen Angst- und Zwangsstörungen zu sein.<ref name="WAde-2022-07-18"/> | ||
R. | Am Tag vor der Tat soll R. aus Verzweiflung einen Suizidversuch mit Tabletten unternommen haben. Wenige Stunden vor der Tat verließ er die Psychiatrie barfuß, kaufte dann in der Innenstadt Schuhe<ref name="WAde-23-01-06">[https://www.wa.de/nordrhein-westfalen/amok-tat-an-der-hshl-urteil-gefallen-92013639.html „Bluttat an der HSHL: Amokläufer kommt in die geschlossene Psychiatrie“ in: Wa.de vom 6. Januar 2023]</ref> und bei [[Woolworth]] die späteren Tatwaffen – zwei Küchenmesser.<ref name="WA_de_06-14"/> Bei einem Fachhandel für Waffen hatte man ihn hingegen scheinbar kurz zuvor abgewiesen, da man ihn für suspekt hielt.<ref name="WA_de_06-13" /><ref name="WA_de_06-14" /> | ||
Markus R. bekannte sich bereits vor dem Haftrichter<ref>[https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/verletzte-bei-messerangriff-in-hamm-100.html wdr.de vom 12. Juni 2022]</ref> und anschließend auch bei Gericht zur Tat. Die Ermittler gingen bereits nach einem psychiatrischen Gutachten davon aus, dass der Student bei der Tat schuldunfähig oder vermindert schuldfähig gewesen ist. Dieser Auffassung schloss sich das Gericht schließlich an. | |||
Markus R. bekannte sich vor dem Haftrichter | |||
== Reaktionen == | == Reaktionen == | ||
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Knapp drei Monate nach der Tat kam am 15. September NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nach Hamm, um sich in der Hochschule mit Verletzten des Amoklaufs und jenen Studenten, die den Angreifer überwältigt hatten, zu treffen. Anschließend traf er im Polizeipräsidium auch die Einsatzkräfte jenes Tages. Reul lobte die Zivilcourage der Studenten, die eingeschritten waren, und äußerte Sorge darüber, dass scheinbar immer mehr psychisch Kranke gewalttätig würden.<ref>[https://www.wa.de/hamm/hamm-nrw-innenminister-herbert-reul-opfer-hshl-amoktat-psychisch-kranke-taeter-groessten-probleme-91790901.html Wa.de vom 15. September 2022]</ref> | Knapp drei Monate nach der Tat kam am 15. September NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nach Hamm, um sich in der Hochschule mit Verletzten des Amoklaufs und jenen Studenten, die den Angreifer überwältigt hatten, zu treffen. Anschließend traf er im Polizeipräsidium auch die Einsatzkräfte jenes Tages. Reul lobte die Zivilcourage der Studenten, die eingeschritten waren, und äußerte Sorge darüber, dass scheinbar immer mehr psychisch Kranke gewalttätig würden.<ref>[https://www.wa.de/hamm/hamm-nrw-innenminister-herbert-reul-opfer-hshl-amoktat-psychisch-kranke-taeter-groessten-probleme-91790901.html Wa.de vom 15. September 2022]</ref> | ||
[[Datei:Amoklauf an der HSHL - Markus R. Angeklagter.jpg|mini|rechts|Der Angeklagte Markus R. neben seiner Verteidigerin]] | [[Datei:Amoklauf an der HSHL - Markus R. Angeklagter.jpg|mini|rechts|Der Angeklagte Markus R. neben seiner Verteidigerin]] | ||
=== Juristische Aufarbeitung === | === Juristische Aufarbeitung === | ||
Aufgrund der psychischen Verfassung des Beschuldigten strebte die Staatsanwaltschaft Dortmund keinen normalen Strafprozess an, sondern die unmittelbare und dauerhafte Unterbringung und Therapie des Beschuldigten in einer psychiatrischen Klinik. Im September 2022 beantragte sie deshalb beim Dortmunder Schwurgericht die Durchführung eines „Sicherungsverfahrens“, bei dessen Anwendung Straftäter ohne Strafverfahren langfristig in einer entsprechenden Klinik untergebracht werden können.<ref>[https://www.wa.de/hamm/hamm-mitte-ort370531/hshl-hamm-amok-taeter-kein-mordprozess-messer-staatsanwaltschaft-psychisch-krank-tote-forensik-91792162.html Wa.de vom 16. September 2022]</ref> | Aufgrund der psychischen Verfassung des Beschuldigten strebte die Staatsanwaltschaft Dortmund keinen normalen Strafprozess an, sondern die unmittelbare und dauerhafte Unterbringung und Therapie des Beschuldigten in einer psychiatrischen Klinik. Im September 2022 beantragte sie deshalb beim Dortmunder Schwurgericht die Durchführung eines „Sicherungsverfahrens“, bei dessen Anwendung Straftäter ohne Strafverfahren langfristig in einer entsprechenden Klinik untergebracht werden können.<ref>[https://www.wa.de/hamm/hamm-mitte-ort370531/hshl-hamm-amok-taeter-kein-mordprozess-messer-staatsanwaltschaft-psychisch-krank-tote-forensik-91792162.html Wa.de vom 16. September 2022]</ref> | ||
Das Verfahren gegen Markus R. begann am 8. Dezember 2022 vor dem Dortmunder Schwurgericht. Es waren zunächst acht Sitzungstermine angesetzt. Anwendung fand das von der Staatsanwaltschaft beantragte Sicherungsverfahren mit dem Ziel der dauerhaften Unterbringung in einer forensisch-psychiatrischen Klinik. | |||
R. räumte die Tat am 14. Dezember bei Gericht ein und äußerte sein Bedauern. Er bekräftigte, dass sein Motiv darin bestanden habe, dass er Rache an einem „Clan“ nehmen wollte, von dem er sich verfolgt gefühlt und der ihn abgehört und gefilmt haben soll. Dieser Clan soll nach seiner Auffassung auch in die psychiatrische Klinik hineingewirkt haben, in der er sich kurz vor der Tat befand, weshalb er sich selbst entlassen habe. Auf die Nachfrage der Staatsanwältin, ob er noch heute an die Existenz dieses Clans glaubt, antwortete er: „Auf jeden Fall“.<ref>[https://www.wa.de/hamm/hshl-amoklauf-hamm-angreifer-spricht-vor-gericht-wollte-rache-91975810.html Martin von Braunschweig: „HSHL-Amoklauf: Jetzt spricht der Angreifer – ‚Wollte Rache’“ in: Wa.de vom 14. Dezember 2022]</ref> | R. schwieg auf Anraten der Verteidigung zunächst, räumte die Tat am 14. Dezember bei Gericht dann ein und äußerte sein Bedauern. Er bekräftigte, dass sein Motiv darin bestanden habe, dass er Rache an einem „Clan“ nehmen wollte, von dem er sich verfolgt gefühlt und der ihn abgehört und gefilmt haben soll. Dieser Clan soll nach seiner Auffassung auch in die psychiatrische Klinik hineingewirkt haben, in der er sich kurz vor der Tat befand, weshalb er sich selbst entlassen habe. Auf die Nachfrage der Staatsanwältin, ob er noch heute an die Existenz dieses Clans glaubt, antwortete er: „Auf jeden Fall“.<ref>[https://www.wa.de/hamm/hshl-amoklauf-hamm-angreifer-spricht-vor-gericht-wollte-rache-91975810.html Martin von Braunschweig: „HSHL-Amoklauf: Jetzt spricht der Angreifer – ‚Wollte Rache’“ in: Wa.de vom 14. Dezember 2022]</ref> | ||
Am 6. Januar 2023 wurde Markus R. vom Dortmunder Schwurgericht für schuldunfähig befunden. Das Gericht wertete die Taten als Totschlag und gefährliche Körperverletzung, jedoch | Am [[6. Januar]] [[2023]] wurde Markus R. vom Dortmunder Schwurgericht für schuldunfähig befunden. Das Gericht wertete die Taten als Totschlag und gefährliche Körperverletzung, sprach jedoch entsprechend keine Haftstrafe aus. Zum Schutz der Allgemeinheit muss R. aufgrund des Beschlusses des Gerichts auf unbestimmte Zeit weiter in der forensischen Psychiatrie untergebracht werden.<ref name="WAde-23-01-06">[https://www.wa.de/nordrhein-westfalen/amok-tat-an-der-hshl-urteil-gefallen-92013639.html „Bluttat an der HSHL: Amokläufer kommt in die geschlossene Psychiatrie“ in: Wa.de vom 6. Januar 2023]</ref> Für den Fall einer | ||
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